Sonntag, 22. März 2009

Weltfrieden und Regierungskrise


21. März, Frühlingsanfang und erneut ein Tag voller Ereignisse in dieser unglaublichen Stadt.

Ich bin gestern mit Míhaly - ein Kollege - und Berence - einem Schüler von mir - mit ganz vielen anderen Menschen in den Philosophengarten gepilgert. Nebenbei gesagt, ein Platz der sich auf alle Fälle lohnt, wenn man die Pester Seite (als Alternative zum Gellérthegy) mal im Ganzen bestaunen will. Aber wir trafen uns dort um in Form des Non Violence- und des Peacesigns mit Fackeln in der Hand für den Frieden auf der Welt zu demonstrieren. War ziemlich beeindruckend! Leider habe ich noch keine Bilder im Internet gefunden, aber das gleiche sieht auf dem Hösök Tere so aus: Erőszakmentesség.
So, make love not war!

Nachdem wir uns dann auf den Rückweg machten und uns von unseren Schülern verabschiedeten gabs noch ein Ereignis innerpolitischer Art obendrauf...

O-Ton Míhaly: "Gestern saß ich im Zug von Pilisvörisvár von Budapest und als der Schaffner die nächste Haltestelle angekündigte, teilte er allen Reisenden gleichzeitig mit, dass der Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány zurückgetreten sei. Und alle im Zug - wirklich alle - haben gejubelt!"

Man kann sagen, dass sich das bereits längerer Zeit ankündigte. Es gab 2006 eine inoffizielle Rede des Ministerpräsidenten, in der er ziemlich konkret und emotional zum Ausdruck brachte, dass die amtierende Regierung das Volk belogen hat und politisch nicht in der Lage  war und ist, etwas zu bewegen. Diese so genannte "Lügenrede" gelangte dann an die Öffentlichkeit und war verständlicherweise ein herber Schlag für das ungarische Volk und nicht unabänderlicher Schaden für sein Image. Verstärkte es nicht zuletzt das ohnehin schon starke Misstrauen gegenüber den Politikern. (Auszüge aus der Rede in der Taz)
Auch die ökonomischen Schwierigkeiten Ungarns, denen er weiterhin nicht nennenswert entgegenwirken konnte, machten ihn zur Zielscheibe der Opposition, so dass er nun in der Zuspitzung dieser Problematik im Zuge der Finanzkrise neuen Reformen nicht entgegen stehen wolle: "Das Krisenmanagement und weitere Veränderungen brauchen einen stärkeren politischen und gesellschaftlichen Rückhalt als den gegenwärtigen...". (Zum weiterlesen gibts hier den Artikel aus dem Pester Lloyd). 

Zur Bewertung dieser Situation kann ich leider nicht viel mehr sagen, als dass ich wahrgenommen habe, dass es für die Mehrheit der Ungarn an der Zeit war, dass sich innerhalb der Regierung wesentliche Veränderungen einstellen. Welche diese allerdings genau sind und wie man sie dann jeweils zu bewerten hat, wird sich zeigen. Aber insbesondere diese Ereignisse und die Möglichkeit direkt mit Ungarn darüber zu sprechen, ermöglicht mir in ungeahnter Weise, dieses Land kennenzulernen.




Einblicke...


Dieses Bild entstand in Dietrichs kreativ-anschaulicher Deutschstunde, in der wir "Im Märzen der Bauer..." gesungen und gelernt haben, was es heißt "die Spreu vom Weizen zu trennen" :)

Montag, 16. März 2009

ZeitGefühl

gegenwärtig, zukünftig, vergangen & Wahrnehmung, Umgang, Gedenken



Zeit, bzw. Zeitempfinden ist etwas kulturspezifisches (und wird daher auch liebend gern im DaF-Unterricht thematisiert, wenn es um interkulturelle Verständigung geht). Budapest ist eine Großstadt und doch scheinen die Menschen hier nicht so in Eile, wie beispielsweise in Berlin. Ich bin eigentlich immer die einzige, die auf der Rolle Treppe "boscanat" grummeln muss, um mich an den anderen vorbeizuschlängeln, weil ich mal wieder spät dran bin. Alle anderen warten seelenruhig ab, bis sie mit der sie untergebenen Geschwindigkeit oben angekommen sind. 
Mit Fahrplänen von Bussen und Zügen ist das auch so eine Sache. Die Verkehrsmittel kommen eigentlich immer, nur müssen sie nicht notwendig den Zeiten auf dem Fahrplan entsprechen. Besonders bei Bussen und bei der HEV (sowas wie eine Regionalbahn, die außerhalb liegende Siedlungen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Budapest verbindet.) ist das der Fall...und dann steh´ich da und warte...und warte und: komme meistens zum nächsten Termin zu spät.
Und der Unterricht: Natürlich wird der pünktlich angefangen, aber kaum ein Lehrer benutzt in den Stunden einen ZeitPLAN, so dass ich mir schon fast lächerlich vorkomme, wenn ich meine Stunden zeitlich strukturiere. 
Nunja, und bei Verabredungen mit Ungarn, kann man auf jeden Fall mit Verspätungen rechnen. Alles braucht halt seine Zeit und hat seine Zeit...und ich habe mich inzwischen von einem strikten ZeitPLAN im Alltag getrennt.
 
 

Und der Umgang mit Vergangenem...wie präsent ist die Vergangenheit? Ich habe mich vor kurzem mit Severine, einer Französin mit ungarischen Wurzeln, unterhalten und sie hatte mir gleich erzählt, dass sie das Gefühl hat, dass die Vergangenheit bei den Ungarn einen großen Stellenwert hat (siehe die vielen Denkmäler, etc.). In meinen Augen ist das immer eine Frage der Perspektive. Ich denke, wenn man in einem fremden Land ist, nimmt man dessen historische Artefakte auch sensibler wahr und sieht viel stärker Bezüge zwischen den historischen Ereignissen und der Kultur. Was mir allerdings auch auffällt, ist, dass man bei Interesse, ohne Probleme historische Themen anschneiden kann...angefangen von den ungarischen Königen, über die erste U-Bahn in Europa (die eigentlich keine U-Bahn ist...), bis hinzu der Ansiedlung der Deutschen oder der kommunistischen Phase. (Übrigens kriege ich morgen eine Privatstunde in ungarischer Geschichte zum Thema Mauerfall) 

Apropros Historizismus: im Hintergrund befindet sich der Heldenplatz (Hösök Tere), an dem einstige Könige des Landes den magyarischen Sonnenuntergang beobachten können. Im Vordergrund: nostalgischer Tourismus.

Ein weiteres Beispiel (wenn wir schonmal dabei sind...):

Zum Gedenken an den hingerichteten Dissidenten Imre Nagy: Er hat die Studentenproteste von 1956 zur Revolution des Volkes proklamiert und später Reformen und den Austritt Ungarns aus dem Warschauer Pakt gefordert.

So ist das, mit der Zeit: AnFangsZeit, HochZeit, ZeitUng, UnZeit, EndZeit....zeitlebens zeitgegenwärtig....
 

Donnerstag, 12. März 2009

Nietzsche und der Mauerfall

Das Gymnasium hinter der Mauer... :)



Inzwischen ist fast schon die zweite Woche um und es scheint, dass ein wenig Alltag eingekehrt ist. Zumindest steht jetzt nahezu mein konkreter Einsatz fest:

Ich werde zusammen zunächst mit Dietrich Bender, meinem deutschen Betreuungslehrer, zusammen eine Anfängergruppe übernehmen. Heißt: viel Konversation und Ausspracheübungen in einem eher freien Rahmen. Unsere Schüler lernen nämlich in ihrem ersten Jahr 16 Stunden Deutsch in der Woche. Zusätzlich (!) zu den anderen Fächern. Es geht also darum sie in diesem ersten Jahr auf ein möglichst hohes Deutsch-Niveau zu bringen.

Kurz zu Dietrich: Er lebt seit 1 1/2 Jahren in Budapest, lehrte bisher sechs Jahre in Spanien, acht in Bolivien und ist damit ein wirklich guter DaF-Mentor. Er ist von allen Kollegen mein Hauptansprechpartner und wir haben uns auf Anhieb richtig gut verstanden. Ich profitiere unglaublich von seiner Erfahrung, seiner unglaublichen Ruhe und Gelassenheit in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht. Er schafft es wirklich mir die Angst zu nehmen, lässt mir sehr viele Möglichkeiten mich auszuprobieren und steht mir für alle Fragen (wirklich alle!) zur Verfügung. Aber auch mit den anderen Kollegen gibt es keine Berührungsängste. Ich fühle mich richtige gut aufgenommen.

Gestern habe ich dann meine erste Philosophie-Stunde in einer 13. Klasse gehalten. Dietrich und ich wurden mehr oder weniger gemeinsam vetretungsweise eingesetzt und er bat mich, die Stunde zu gestalten. Ich war dann einfach mal experimentierfreudig und habe einen Text zu Nietzsche ausgewählt. Auch diese Stunde ist super gelaufen, obwohl ich echt Befürchtungen hatte, dass es sprachlich zu anspruchsvoll sein würde. Irrtum, Judith! Das Sprachniveau der Schüler ist so gut, dass wir kaum über das Textverständnis reden musste und nahezu gleich in die  Diskussion über Religion und Moral einsteigen konnten. Dabei war es sehr interessant für mich zu beobachten, dass einige Schüler doch eher gegen meine Religionsskepsis argumentiert haben...

Außerdem übernehme ich mit meiner Kollegin Orsyla eine elfte Klasse im Deutschunterricht und für mein Projekt! Nachdem ich meine Projektidee immer wieder neu überdacht habe, sind Orsi (in Ungarn ist es üblich sich mit einer Kurzform anzureden, schafft eine sehr familiäre Amtomsphäre) und ich uns dann schließlich darüber einig geworden, dass wir das Thema "Mauerfall" behandeln. Was für ein Glück! Denn dies ist auch das einzige Thema, dass ich mir mit meinem Geschichtswissen zu trauen würde und: es ist wahnsinnig spannend und passt einfach nur genial in dem Rahmen Deutschland-Ungarn! Wir werden wahrscheinlich viel mit persönlichen Berichten arbeiten und alles sehr frei gestalten. Ok, letzteres bringt Projekt-Arbeit auch so mit sich....*ähäm* Ich freue mich schon sehr auf die Ergebnisse und bin gespannt, was ich dabei alle über Ungarn und von den Schülern lernen werde! 

Sollte es von eurer Seite aus Anregungen und Tipps geben: her damit! Ich bin ganz neu auf dem Gebiet und zugegebenermaßen auch etwas nervös, ob das alles so hinhaut... .

Jaja, so sieht es aus! Weiteres wird folgen... bestimmt :) Denn es gibt da noch so einige Ereignisse....Theatertage,  kleinere freiwillige Projekte von Schüler...achja.... . Grad denke ich: ein Traumland für Lehrer!

Samstag, 7. März 2009

Buda, Pest, Arbeit und die 1. Woche...




Donau mit Pester Seite....

...Donau mit Budaer Seite (daneben  ist gleich das 
berühmte Gellert-Bad, daher auch "Gellert-Berg"...)



Jetzt befinde ich mich schon im zweiten Wochenende in Budapest und es fühlt sich an, als wäre ich schon Wochen hier. Das äußerst sich unter anderem auch darin, dass ich stets und ständig überzeugt bin, zu wissen, wo ich bin und wie ich am besten an einen anderen Ort komme. Nunja, zu oft bestätigt sich derzeit noch das Gegenteil....*räusper* (letztens: 1 1/2h Umweg...ähäm)


Doch, wie wohne ich? wo und wie ist die Arbeit


Ich wohne in der Balzac utca, in der Nähe der Margit Sziget (Insel in der Donau). Sehr zentral und nah am Nyugati Palyaudvar (dem Westbahnhof, von dem inner-ungarische Züge abgehen).
Ich arbeite allerdings viel weiter außerhalb, im Süden der Stadt, so dass ich nicht um einen 45 Minuten Arbeitsweg drumherum komme. Heißt: mindestens um sechs klingelt der Wecker. (Eigentlich sollte er früher klingeln...nunja...). Auf jeden Fall eine derbe Umstellung, wenn ich bedenke, dass ich das letzte Mal zu meiner eigenen Schulzeit um diese Uhrzeit aufgestanden bin. Dass man das noch nicht geändert hat...tsss.... . 


Egal. Wie sieht jetzt meine Arbeit aus? Also, zu allerst muss ich mal meine Begeisterung für die Schule aussprechen. Das Nemeti Nemzetisegi Gimnasium ist ein kleines Gymnasium mit rund 300 Schülern ab der 9. Klasse. Es versteht sich auch mehr oder weniger als Elite-Gymnasium und nimmt bzgl. der Bedingungen unter den Schulen in Ungarn eine Sonderstellung ein. Das erklärte mir zumindest mein deutscher Betreuungslehrer. Es gibt in jeder Jahrgangsstufe ungefähr 2 Klassen (A und B), deren Schüler nach ihrem Deutschniveau eingeteilt werden. Jede Klasse wiederum ist eingeteilt in 2-3 Gruppen, um den Sprachunterricht so effektiv wie möglich zu gestalten. Das heißt: jeder kann und muss tatsächlich innerhalb von 45 Min. zu Wort kommen. Als ich einer Deutschlehrerin einer anderen Schule erzählte, dass in Deutschland manchmal 30 Kids im Sprachunterricht sitzen, konnte sie das kaum glauben. Jaja... .  

Außerdem handelt es sich um ein Nationalitätgymnasium, in dem die Traditionen der Ungarndeutschen (Donauschwaben) zusätzlich zu den "normalen" Fächern gelehrt werden. Knapp verpasst, habe ich den Schwabenball, zu dem alle Schüler in Tracht in der Schule tanzen. Schade, eigentlich, dass ich das nicht sehen konnte. Hätte mich schon sehr interessiert. 

Außerdem hat die Schule eine Theater-Gruppe mit einer sehr engagierte Schülerin die selbst Theater-Stücke für die Gruppe "Kultur Offensive" schreibt. So wurde ich am ersten Tag gleich  zu einer Aufführung ins Thalia-Theater mitgenommen. "Der Bohemien" hieß das Stück und wurde zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Ich war ziemlich beeindruckt. Beeindruckt von der Leistung der Schülerin, selbst zu schreiben, zu inszenieren und zu spielen (!). Beeindruckt von den anderen Schülern, die mitgespielt und beeindruckt von der Motivation ein Theaterstück in Deutsch mit solcher Hingabe aufzuführen. Ich werde, so sieht es derzeit aus, auch bei einer Theatergruppe der Schule mitwirken. Ich bin sehr gespannt auf diese Arbeit.

Am Montag hatte ich auch gleich meinen ersten richtigen Einsatz. Ein Kollege -Tamás- bat mich direkt in seiner 9. Klasse den Unterricht zu übernehmen. Da war ich natürlich erstmal total baff. Ich hatte nichts vorbereitet und bin eigentlich davon ausgegangen, dass ich in der ersten Woche nur hospitiere. Alles in allem ging es aber echt gut. Die Schüler haben wirklich gut mitgemacht. Ehrlich gesagt, ist unterrichten ja auch das spannendere an dieser Arbeit. Insofern bin ich ganz froh, gleich am ersten Tag ins kalte Wasser geworfen worden zu sein :) Wobei ich denke, dass Tamás auch ein bisschen testen wollte... .